Zusammenfassung: Frühjahr nach Halbblutprinz. Harry und seine Freunde jagen nach den letzten Horcruxen. Und dann ist da noch der brennende Wunsch
nach Rache in Harry. Was wird passieren, wenn Harry und Snape zusammentreffen? Warnung: HBP Spoilers!
DISCLAIMER: Diese Geschichte basiert auf Charakteren und Situationen, die von JK Rowling kreiert wurden und ihr und verschiedenen Verlagen gehören.
Alle Rechte liegen bei ihr und den entsprechenden Verlagen. Eine Verletzung des Copyrights ist nicht beabsichtigt, Geld wird hiermit auch nicht verdient.
"Was sollen wir jetzt tun, Harry? Dies war der letzte Ort auf unserer Liste, und hier ist er auch nicht."
Ein langer Moment des Schweigens entstand. Ron und Hermine schauten erwartungsvoll den jungen Mann mit der blitzförmigen Narbe an, der, offensichtlich tief in Gedanken, auf das alte, verlassene
Kloster starrte. Es hieß, Voldemort hätte dort einige Zeit zugebracht und geheime Forschungen angestellt und greuliche Experimente durchgeführt. Seither spukte es angeblich in dem alten Kloster, aber
von dem vorletzten der Horcruxe, Rowena Ravenclaws magischem Spiegel, hatten sie keinerlei Spuren finden können.
Endlich riss Harry seinen Blick von dem alten Gemäuer, Entschlossenheit in seinen Augen. "Wir gehen nach Hogwarts."
"Aber Harry, was um alles in der Welt sollen wir denn dort? Ich bin mir sicher, dass weder Hagrid noch Professor McGonagall mehr über den Spiegel wissen als wir, und die beiden sind die
einzigen Leute, die noch in Hogwarts sind, jetzt, wo die Schule geschlossen worden ist."
"Das weiß ich. Aber gerade du solltest wissen, dass die Bibliothek immer noch dort ist, Hermine. Holst du dir nicht immer Rat in Büchern, wenn du nicht mehr weiter weißt? Vielleicht finden wir
dort etwas über den Spiegel." Plötzlich verzog sich Harrys Gesicht zu einer hasserfüllten Grimasse. "Und vielleicht finden wir noch etwas anderes in Hogwarts. Du kennst doch bestimmt das alte
Muggel-Sprichwort, ‚Ein Mörder kehrt immer an den Ort seines Verbrechens zurück‘, oder, Hermine?"
Der Fluch traf den völlig überraschten Rabe mitten in die Brust. Durch die Wucht des Aufpralls hoch in die Luft geschleudert hing er für den Bruchteil einer Sekunde über dem Abgrund, dann fiel er,
flatternd und krächzend vor Schock und Schmerz, langsam nach hinten über die Zinnen und verschwand im Zwielicht.
"Yippee, du hast ihn getroffen!", jubelte Ron und rannte zur Brüstung, aber es war schon zu dunkel um etwas erkennen zu können.
"Lass uns hinunter gehen und nachschauen. Ich denke zwar nicht, dass er in einem Zustand sein wird, in dem er noch fliehen kann, aber man weiß nie bei Snape," warnte Harry und wandte sich dem
Eingang zur Wendeltreppe zu. "Im Gegensatz zu Dumbledore hat der elende Verräter Flügel ..."
Auf halbem Weg die Treppe hinunter trafen sie Hermine, die ihnen entgegen kam.
"Seid ihr nicht hungrig? Das Abendessen steht schon auf dem Tisch. Dobby wird nicht gerade glücklich sein, wenn ihr es schon wieder verpasst," mahnte sie die Freunde.
"Vergiss das Essen, Hermi. Harry hat ihn erwischt!" rief Ron und eilte, drei Stufen auf einmal nehmend, an ihr vorbei.
"Wen erwischt? Snape? Dann war er wirklich der Rabe? Was ist passiert?", fragte Hermine verblüfft und machte auf dem Absatz kehrt. "Seid ihr auf dem Weg zu McGonagall?"
"Neh, erst mal unten nachschauen, damit er nicht wieder entwischt", erklärte Ron über seine Schulter hinweg. "Besser wir beeilen uns."
Wenige Minuten und einige hundert Stufen und Korridore später rannten die drei Teenager durch die eichene Eingangstür und hinaus auf die zunehmend dunkler werdenden Ländereien. Als sie um den
Astronomieturm herum liefen, konnten sie fast an exakt der gleichen Stelle, an der weniger als ein Jahr zuvor der Leichnahm Dumbledores gelegen hatte, ein schwarzes, zusammengekrümmtes Etwas im Gras
liegen sehen.
"Glaubst – glaubst du, er ist tot?", stotterte Hermine in plötzlich aufkeimender Furcht.
Harry antwortete nicht. Mit auf die reglose Gestalt gerichtetem Zauberstab ging er entschlossen näher. Ron und Hermine folgten einige Schritte hinter ihm. Es gab keinen Zweifel, was da lag war ein
Mensch, kein Vogel, und er schien entweder tot oder bewusstlos zu sein.
"Vorsicht, es könnte eine Finte sein", warnte Ron. "Vielleicht täuscht er nur vor, tot zu sein, und dann plötzlich –" Sie schraken zusammen, als die Gestalt sich bewegte, langsam auf den Rücken
rollte und einen Arm über das Gesicht schlug. Sie konnten ein leises, schmerzerfülltes Stöhnen hören.
"Bleibt zurück, ihr beiden", ordnete Harry an, während er, den Zauberstab bereit, weiter ging. Als er näher kam, entspannte sich seine Haltung ein wenig. Es war tatsächlich Snape, er konnte es
unschwer an dem schulterlangen, fettigen Haar erkennen, das im Gras ausgebreitet lag wie schwarze Tentakeln. Der merkwürdige Winkel, in dem eines seiner Beine abgespreizt war, ließ vermuten, dass es
böse gebrochen war. Und war da nicht Blut an der bleichen Hand? Obwohl Snape offensichtlich am Leben war, schien er doch so schwer verletzt, dass jeder Gedanken an Flucht oder Gegenwehr unmöglich
sein musste, stellte Harry mit Befriedigung fest.
"Snape!", rief er und stieß den Mann nicht gerade sanft mit der Spitze seines Turnschuhs in die Seite. Es knackste. Der gefallene Zauberer keuchte auf und unterdrückte einen erstickten Schrei.
Langsam nahm er den Arm von seinem Gesicht und blinzelte aus glasigen Augen zu Harry hoch.
"Potter!", zischte er, sein blutverschmiertes Gesicht eine Maske aus Hass und Schmerz, als er erkannte, wer da stand. "Hast deinen Karl May gründlich gelesen, wie ich sehe." Die Worte kamen
keuchend und abgehackt und Snape hatte sichtlich Mühe seinen Blick zu fokusieren, doch er sprach weiter: "Wie war das wieder, ‚Ein Mörder kehrt immer an den Ort seines Verbrechens zurück? Etters, der
auf dem Grab seines Opfers stirbt – oh, welche Parallelen." Die letzten Worte waren kaum mehr als ein Flüstern von blutleeren, zitternden Lippen. Plötzlich schien Snape alle seine Reserven zu
mobilisieren und richtete sich in einer letzten Anstrengung halb auf, seine brennenden schwarzen Augen bohrten sich in Harrys. "Bist du nun zufrieden, Potter?", zischte er. "Stolz auf dich? Wer ist
jetzt der Feigling? Du Dummkopf, du feiger Dummkopf. Wie der Vater, so der Sohn ..." Ein Hustenanfall schüttelte seinen Körper und stöhnend sank er zurück ins Gras, Blut sickerte aus einem
Mundwinkel. Seine Augen schlossen sich.
Harry stand starr, wie aus Stein gemeißelt, sein Zauberstab war noch immer auf das Herz des sterbenden Mannes gerichtet. Bei Snapes letzten Worten hatte die Hand mit dem Zauberstab gefährlich
gezuckt und seine Miene hatte sich, wenn dies überhaupt möglich war, noch mehr verdüstert. Wie oft hatte er ähnliches von Snapes höhnisch gekräuselten Lippen gehört? Aber dieses Mal würde das aller
letzte Mal sein ...
"Harry, wir können ihn nicht einfach hier liegen und verbluten lassen. Er ist ein Mörder, ja, aber er ist dennoch ein Mensch. Natürlich muss er bestraft werden, aber dafür haben wir Gerichte und
Gefängnisse. Es ist nicht an uns zu richten." Hermine war neben Harry getreten und schaute den Freund flehend an. "Harry, lass ihn uns zu McGonagall bringen. Bitte. Harry?"
Harry schien ihre Worte kaum zu bemerken. Doch endlich drehte er sich zu ihr um. "Tu was du nicht lassen kannst. Mir ist es gleich." Ohne sie weiter zu beachten blickte er hinüber zu Dumbledores
Grab, der weiße Marmor des Grabmahls leuchtete in der Ferne. Hermine warf einen letzten tränenerfüllten Blick auf ihren Freund, zauberte dann eine Trage aus dem Nichts und ließ den reglosen Körper
ihres ehemaligen Professors vorsichtig darauf schweben.
"Ron, ich bringe ihn in den Krankenflügel. Du gehst und holst McGonagall. Aber beeile dich, er atmet kaum noch", sagte Hermine leise zu dem großen, schlaksigen Teenager neben ihr. Ron nickte und
sprintete auf den Haupteingang zu, während Hermine ihm langsameren Schrittes folgte, die Bahre dicht an ihrer Seite schwebend. Harry blieb allein zurück.
"Wie – wie geht es Professor Snape?", fragte Hermine die Schulleiterin beim Frühstück in der Großen Halle. Obwohl es ein merkwürdiges Gefühl war in der fast leeren Halle zu essen, war es doch weit
besser als auf Hagrids Kochkünste angewiesen zu sein. Der Porridge, den er nach ihrer ersten Nacht bei ihm in der Hütte aufgetischt hatte, war so hart wie Beton gewesen, und die Farbe war einfach –
ekelerregend.
"Er wird durchkommen", antwortete McGonagall. "Madame Pomfrey hat ihn in einen Heilschlaf versetzt, so dass der Bluterneuerungstrank richtig wirken kann. Er wird nicht vor morgen Abend
erwachen."
Die drei Freunde wechselten erleichterte Blicke. Harry hatte Ron und Hermine schließlich erzählt, was er im Büro der Direktorin erfahren hatte, während Hagrid mit Fang draußen auf den Ländereien
einen Nachtspaziergang unternahm. Sie waren den ganzen Abend ziemlich still und niedergeschlagen gewesen. Wieder einmal hatten sie Snape fälschlicherweise beschuldigt, und nun hatten sie ihn fast
getötet – was, wenn er die Nacht nicht überlebte?
"Und – war da wieder eine Nachricht, ich meine, über die Pläne der Todesser?", fragte Ron, der seine Neugier nicht beherrschen konnte.
"Ja, in der Tat, Mr. Weasley, da war wieder eine Nachricht. Madame Pomfrey hat sie zusammen mit seinem Zauberstab in Severus‘ Taschen gefunden. Leider jedoch", McGonagall schaute die drei
Jugendlichen streng an, "war sie so verfleckt, dass es unmöglich war sie zu entziffern. Ich habe versucht sie zu säubern, aber nun funktioniert der Dekodierungszauber nicht. Wir werden warten müssen,
bis Severus sich so weit erholt hat, dass er es uns selbst erzählen kann. Und hoffen wir, dass dies rechtzeitig genug sein wird, um zu verhindern, was immer die Todesser planen." Eine deprimierte
Stille folgte den Worten der Schulleiterin.
"Wenn ich mich richtig entsinne, beabsichtigte Professor Dumbledore Ihnen etwas zu zeigen, Mr. Potter", sagte Professor McGonagall schließlich und bedeutete Harry mit ihr zu kommen. Erwartungsvoll
stand der junge Zauberer auf und folgte der Direktorin zu ihrem Büro.
Nach einer langen und schlaflosen Nacht am Krankenbett eines gesuchten Mörders, die sie damit verbracht hatte, dessen zahllose gebrochene Knochen zu heilen und tiefe, blutende Wunden zusammen zu
flicken, um das Leben des besagten Mörders zu retten, gönnte sich Madame Pomfrey einen langen und tiefen Mittagsschlaf. Doch plötzlich schrillte ihr Alarm. Augenblicklich hell wach sprang sie aus dem
Bett und in ihre Pantoffeln, warf sich den Morgenmantel über, griff ihren Zauberstab und hastete hinüber in das Krankenzimmer.
"Professor Snape! Was um Himmels Willen tun Sie da!", rief die Medihexe beim Anblick ihres Patienten aus.
"Ich bin kein Professor mehr", grummelte Snape und starrte Pomfrey aus fiebrigen Augen an, während er Anstalten machte das Bett zu verlassen. "Wo sind meine Kleider?"
"Wagen Sie es ja nicht aufzustehen, Mr. Snape", warnte Madame Pomfrey nachdrücklich. "Sie brauchen mindestens noch drei, vier Tage strengster Bettruhe oder Sie werden einen Rückfall erleiden."
"Ich muss brauen. Noch einmal, wo sind meine Kleider?"
"Brauen? Sie haluzinieren wohl!", rief die Medihexe entsetzt. "Sie verlassen diese Krankenstation nur über meine Leiche, Mister!"
"Und woher, wenn ich fragen darf, können Sie sich so sicher sein, dass ich Sie nicht töten werde?", fragte Snape bitter.
Pomfrey wurde blass. "Das würden Sie nicht ..."
"Reizen Sie mich lieber nicht, Weib. Holen Sie meine Sachen und gehen Sie mir aus dem Weg", befahl Snape barsch. "Und nein, ich werde kein tödliches Gift brauen, um zahllose Muggel zu vergiften,
sondern einen Heiltrank – für mich."
"Sie denken also, Sie könnten sich selbst besser heilen als ich das kann?", sagte Madame Pomfrey gekränkt. "Es tut mir schrecklich leid, aber aus Kleidern wird so schnell nichts. Ich haben den
Hauselfen aufgetragen, Ihre Sachen zu reinigen und auszubessern, sie waren in kaum einem besseren Zustand als Sie selbst. Und Ersatz läßt sich nicht beschaffen, da Ihre Räume wurden vom Ministerium
verschlossen und versiegelt wurden."
"Dann schicken Sie einen verdammten Hauself, die können hinein- und herausapparieren, ohne sich um Siegel zu scheren", knurrte Snape ungeduldig und fixierte die Medihexe mit einem Blick, der keine
Widerrede duldete. "Ich brauche diesen Trank – jetzt!" Tatsächlich eilte Madame Pomfrey in ihr Büro, und Snape ließ sich erschöpft von der hitzigen Diskussion zurück in die Kissen fallen. Er fühlte,
wie die Verbände um seine Brust feucht und warm von frisch aussickerndem Blut wurden, aber das war ihm gleich. Die Schmerzen in seiner linken Seite waren viel schlimmer. Sie hatten ihn viel früher
als erwartet aus dem Heilschlaf geweckt. Die schwarze Wunde, die die Schmerzen verursachte, war noch kaum größer als seine Hand, aber sie würde sich unaufhaltsam ausbreiten, tödlich wie die Pest.
Bald würde er nicht mehr in der Lage sein, den Zaubertrank zu brauen. Er fühlte bereits, wie das Fieber stieg, ein Fieber, das ihn verzehren würde, wenn er den Trank nicht rechtzeitig einnehmen
konnte. Und Pomfrey, die sich Heilerin schimpfte, hatte offensichtlich noch überhaupt nicht gemerkt, was mit ihm los war. Heiler! Wenn er einen Zauberstab hätte, könnte er diese lästigen Schnitte in
sekundenschnelle verschwinden lassen. Aber auf dem Nachttisch war kein Zauberstab. Natürlich, sie konnten ihn ja nicht mit einem Zauberstab allein lassen nach dem, was er getan hatte. Zweifelsohne
hatte die Direktorin ihn in Verwahrung genommen. Und der Spiegel? Er würde sie bald aufsuchen und einiges mit ihr besprechen müssen, aber nicht jetzt. Erst der Trank. Etwa zwei Stunden Brauen. Wenn
er es nur bis runter in die Kerker schaffte. Und seine Kleider. Er brauchte seine Kleider. Warum zum Teufel brauchte Pomfrey so lange? Die Schmerzen machten ihn wahnsinnig. Zwei Stunden, noch zwei
quälende Stunden ...
"Mister Snape?" Der Zauberer fuhr aus einem leichten, unruhigen Schlaf hoch. "Hier, Dobby hat Ihnen etwas zum Anziehen besorgt. Aber zuerst nehmen Sie dies hier." Mit einem Ausdruck äußerster
Missbilligung reichte Madame Pomfrey ihrem Patienten eine Flasche mit Bluterneuerungstrank und zwei kleine Phiolen. Snape brauchte die Etiketten nicht zu lesen, um die Flüssigkeiten als ein
fiebersenkendes Mittel und eine Stärkungselixir zu identifizieren. Sehr zu Pomfreys Erleichterung schluckte er die Tränke ohne Protest und schlüpfte dann mit Hilfe der Medihexe in seine Kleider.
"Ich habe Miss Granger bebeten in den Klassenraum für Zaubertränke zu kommen. Wir werden Ihnen assistieren", sagte Madame Pomfrey fest. Snape verzog seine Lippen, also ob er einen beißenden
Kommentar abgeben wollte, aber überlegte es sich anders. Er würde all seine Kraft zum Brauen benötigen, nicht für nutzlose Diskussionen. Und, so wenig er den Gedanken auch mochte, er konnte
tatsächlich Hilfe gebrauchen.
"Wir nehmen die Flohverbindung, Sie wollen doch nicht auf halbem Weg die Treppe hinunter zusammenklappen", sagte die Medihexe streng und steuerte den alles andere als sicher auf den Beinen
stehenden Ex-Professor hinaus aus dem Zimmer und in ihr Büro hinein.
Als Severus zwei Stunden später erwachte, fand er sich auf einem Sofa im Zaubertränke-Klassenzimmer wieder. Er hatte noch immer Schmerzen in der Seite, aber im Vergleich zu den wahnsinnigen
Schmerzen, die die Fluchwund zuvor verursacht hatte, waren sie erträglich. Der Zaubertrank schien zu wirken. Obwohl er sich schwindelig und schwach und fiebrig fühlte, konnte er es sich nicht leisten
einfach liegen zu bleiben und krank zu spielen. Er hatte wichtige Dinge zu erledigen. Zuerst musste er zu McGonagall, und dann mit dem Potter-Balg sprechen. Und dann zurück zu seinem Meister. Er
würde ihm eine überzeugende Geschichte zusammenspinnen müssen, um seine Abwesenheit und die Verletzungen zu erklären ...
Langsam setzte er sich auf. Madame Pomfrey schnarchte leise in einem Sessel. Sein Hemd und sein Umhang lagen auf einem Tisch neben dem Sofa, und daneben standen ein silberner Pokal und zwei kleine
Flaschen, die mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit gefüllt waren. Er füllte den Pokal bis zum Rand mit Zaubertrank, trank ihn in einem Zug, entfernte dann den Verband um seinen Kopf und zog sich
lautlos an. Die Flaschen steckte er in seine Tasche und schlich sich, das eine Mal ohne die Tür lautstark hinter sich zuzuknallen, aus dem Klassenzimmer.
Snape trat in den sparsam beleuchteten Korridor. Die Fahrt nach unten auf der verzauberten Treppe war nicht gerade die richtige Medizin gegen den Schwindel gewesen. Er musste für einen Moment
stehen bleiben und sich an dem Wasserspeicher festhalten, der den Eingang zum Büro der Schulleiterin bewachte. Durch das leise Rauschen in seinen Ohren konnte er Stimmen näher kommen hören. Weibliche
Stimmen.
"Er ist nicht geflüchtet, Poppy, er ist in meinem Büro – mit Mr. Potter."
"Sind sie verrückt, Professor? Sie haben diesen Mörder mit dem Jungen allein gelassen? Was wenn er –"
"Severus wird Mr. Potter in keinster Weise schaden, glauben Sie mir."
"Es hätte auch niemand daran gedacht, dass er kaltblütig den Direktor töten würde ..."
"Warum sehen Sie nicht nach Mr. Potter, wenn Sie so besorgt um sein Wohlergehen sind, Madame Pomfrey?", ertönte eine leise männliche, spotttriefende Stimme von hinter dem Wasserspeier. "Aber ich
versichere Ihnen, er ist so lebendig wie eh und je." Snape trat um die Statue herum und in das Blickfeld der beiden Hexen. "Minerva, auf ein Wort."
Sie warteten, bis sich die Wand hinter der leicht verstimmten Medihexe geschlossen hatte.
"Minerva, du musst Informationen über ein Zusammentreffen zwischen mir und einigen Mitgliedern des Ordens zum Quibbler durchsickern lassen, sagen wir, im Verbotenen Wald. Drei oder vier sollten
genügen."
"Einer würde natürlich nicht ausreichen, um dich ernsthaft zu verletzen ..."
"Du weißt genau, dass einer nicht die Spur einer Chance hätte", knurrte Snape, "nicht im offenen Kampf. Und so weit ich mich erinnern kann, und im Gegensatz zu einem gewissen", seine Lippen
verzogen sich verächtlich, "‚Auserwählten‘, neigen die Mitglieder des Ordens nicht dazu, sich unter Tarnumhängen zu verstecken."
"Severus, Harry konnte unmöglich wissen –"
"Wirst du die Information weitergeben?", unterbrach sie Snape ungeduldig.
McGonagall nickte.
"Dann leb wohl", sagte Snape knapp, machte auf dem Absatz kehrt und ging mit großen Schritten und wehendem Umhand den Korridor hinunter.
"Leb wohl, Severus", murmelte die Schulleiterin und blickte ihrem ehemaligen Kollegen nach, der im Dunkel des Korridors verschwand. "Und pass auf dich auf."
Tatsächlich, dort stand es schwarz auf gelbem Pergament in Snapes winziger Handschrift, unmöglich wegzudiskutieren. Der Zauberspruch, der benötigt wurde, um den abgeänderten Amortentia-Trank zu
aktivieren, konnte nur dann erfolgreich ausgeführt werden, wenn jemand sein Leben für Harry gab.
"Ich wusste, dass da irgendwo ein Haken an der Sache ist, das ist so typisch Snape", murmelte Ron und starrte auf das Pergament.
"Jaah", stimmte Harry zu. "Aber da hat er sich verrechnet. Ich werde es nicht tun. Wir vergessen einfach die ganze Sache. Auf keinen Fall werde ich es zulassen, dass sich wieder jemand opfert.
Ende der Geschichte." Er fing an, das Pergament zu reißen.
"Harry, warte!", rief Hermine alarmiert. "Tu das nicht. Denk nach. Wir sind im Krieg. Viele Leute sterben. Und wenn es einen großen Angriff auf den Orden gibt, wird es zweifelsohne Opfer geben.
Wir können unmöglich wissen, was passieren wird, aber wäre es nicht besser, wenn du auf jeden Fall den Trank bereit hättest, nur für den Fall der Fälle?" Als Nachgedanke fügte sie hinzu: "Immerhin
wollte Dumbledore, dass du Snapes Buch bekommst. Er muss von dem Zaubertrank gewusst haben, und auch davon wie er wirkt. Vielleicht hat sogar er den Zauberspruch erfunden, nicht Snape."
"Dumbledore hätte gewusst, dass ich dem nie zustimmen würde", sagte Harry mit Überzeugung.
"Ja, das hätte er", stimmte Hermine zu und ein leichtes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. "Und genau deshalb war er so froh, dass du mich hast."
Als nur zwei Tage nachdem Harry den Trank vollendet hatte, Snapes Patronus in Hogwarts ankam, war niemand sonderlich überrascht, dass Voldemort seine Attacke für den folgenden Samstag geplant
hatte, den Tag der Hochzeit.
Harry war so beschäftigt damit gewesen, den Trank zu brauen und zu üben, wie man eine Erinnerung extrahierte (natürlich war es Hermine gewesen, die das Buch gefunden hatte, das detailierte
Anweisungen über den Vorgang gab), dass er das nahende Ereignis fast vergessen hätte. Wieder einmal waren sie alle in den Fuchsbau geladen, wo die Vermählungszeremonie für Nymphadora Tonks und Remus
Lupin abgehalten werden sollte. Molly hatte dieses Arrangement vorgeschlagen, da weder Remus noch Tonks es sich leisten konnten einen Raum zu mieten, der so viele Menschen beherbergen konnte. Neben
Tonks‘ und Remus‘ Eltern und einigen Freunden war der gesamte Orden des Phönix eingeladen. Die ideale Gelegenheit für Voldemort, die Bollwerke des Widerstands in einem einzigen Schlag
auszulöschen.
Was überraschender war, war der Patronus selbst. Ron hatte durch eines der Fenster in Hagrids Hütte ein schimmerndes Etwas gesehen, das schnellfüßig und mit wehender Silbermähne über die
nächtlichen Ländereien flog. Es war ein perlweißes Einhorn.
"Ein Einhorn! Könnt ihr das glauben? Das ist wie – wie –" sagte Ron, der es auch am folgenden Nachmittag noch nicht glauben wollte, obwohl er es mit eigenen Augen gesehen hatte. "Ach, ich weiß
auch nicht. Aber es ist einfach total unglaublich."
"Was hast du den erwartet, eine riesige Vampirfledermaus? Oder einen Basilisken?", spottete Hermine. "Krieg dich wieder ein, es ist eben nicht immer alles so offensichtlich." Sie wandte sich an
Harry. "Hat McGonagall dir gesagt, was der Orden tun wird? Sie hatten doch ein Treffen, oder?"
Harry nickte ernst. "Sie werden die Hochzeit halten wie geplant."
"Und nichts unternehmen?", fragte Hermine leicht schockiert darüber, wie leicht der Orden die Situation zu nehmen schien. "Sie wollen die Hochzeit nicht verschieben, oder sie wenigstens anderswo
abhalten, oder –"
"Es ist absolut unmöglich, dass Todesser auf unser Grundstück gelangen können", sagte Ron mit dem Brustton der Überzeugung, während er Fred und Georges letzte Erfindung in den Mund steckte – ein
Cracker in Form eines Drachens, der so scharf war, dass man angeblich Feuer durch seine Nase blasen konnte. Die Zwillinge hatten ihnen freundlicherweise eine Probepackung geschickt. "Der Fuchsbau ist
unauffindbar. Und man braucht einen W–" Weitere Erklärungen gingen in einem entsetzten Luftschnappen unter, und Rons Augen purzelten ihm fast aus seinem Kopf. Als er es endlich schaffte auszuatmen,
schossen kleine Feuerzungen und Rauch aus seinen Nasenlöchern. Harry hielt sich den Bauch vor Lachen über Rons perplexen Gesichtsausdruck.
Jungen!, dachte Hermine und rollte mit den Augen.
"Wow, das war – das war gigantisch!", rief Ron aus, nachdem er wieder zu Atem gekommen war. "Jedenfalls", er wurde wieder ernst, " braucht man einen Weasley, um hinein zu kommen."
"Dennoch, Ron, wir reden hier von Voldemort, er –", sagte Hermine besorgt.
"Das Ministerium hat eine Spezialeinheit Auroren versprochen", sagte Harry und wischte die letzten Lachtränen aus dem Gesicht. "Sie denken, dass es eine großartige Gelegenheit ist, eine
Menge Todesser zu fangen oder zu töten." Harry hielt einen Moment inne und sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich. "Ihr kennt Scrimgeour, ihm ist es egal, dass es eine Hochzeit ist."
"Und was denkst du, Harry?", fragte Hermine vorsichtig.
"Der Trank ist fertig. Ich denke es ist Zeit es hinter mich zu bringen", antwortete er, wobei er versuchte zuversichtlicher zu klingen als er sich fühlte. Was würde ihn auf der Hochzeit erwarten?
Höchstwahrscheinlich würde er wieder Voldemort entgegentreten müssen, und dieses Mal musste er versuchen, ihn zu töten – oder bei dem Versuch sterben.
Bevor Harry seinen Mund öffnen konnte um zu antworten, hatte Snape bereits, schnell wie der Blitz, den ersten Fluch abgefeuert. Ein scharfer Schmerz schnitt durch seine Wange. Kochend vor Wut und
Verwirrung wischte Harry das Blut mit dem Handrücken weg. Was für ein Spiel spielte Snape? Er war auf ihrer Seite, oder etwa nicht? Warum griff ihn der verdammte Bastard an? Ein weiterer Fluch kam
auf ihn zugeschossen, aber diesmal war Harry bereit. Er duckte sich unter dem Fluch weg und rief zur gleichen Zeit: "Expelliarmus!"
"Sie haben es immer noch nicht begriffen, Potter, oder? Habe ich Sie nicht fast ein Jahr lang non-verbale Zaubersprüche gelehrt? Versuchen Sie es noch einmal!", höhnte Snape, den Zauberstab noch
immer fest in der Hand.
Mit aller Kraft dachte Harry Levicorpus, aber wieder parrierte Snape den Fluch und verschwand tiefer in den Schatten des Obstgartens.
"Besser, Potter, besser. Aber nicht gut genug für mich", höhnte der Dunkle Zauberer und feuerte einen Brennfluch über die Schulter, der schmerzhaft Harrys Ohr streifte. Eine ganze Salve von
Flüchen folgte, während Snape zwischen den Bäumen verschwand. In seiner brodelnden Wut alle Vorsicht vergessend, rannte Harry hinterher.
"Diesmal werden Sie nicht entkommen, Sie verdammter –" Ein Fluch traf Harry am Knie und er stolperte. Seine Fäuste vor Schmerz und Wut ballend rappelte er sich auf und setzte die wilde Jagd durch
den Obstgarten fort, dann den Hügel hinauf und dem Wald entgegen. Dem Gefecht, das durch das Haus und den Garten der Weasleys tobte, schenkte er nicht die geringste Beachtung.
Am Rand des Waldes drehte sich Snape um. Eine Hälfte seines Gesichts war von dem fahlgrünen Glühen des Dunklen Mals beleuchtet. Der ungezügelte Hass, der in die scharfen, maskenartigen Züge geätzt
war, ließ Harry erschaudern. Ein brennender Schmerz schoss durch seine Narbe, und seine Gedanken setzten aus, als Snape auf ihn zuschritt.
"Hier habe ich Sie nun, Potter ...", zischte der Todesser, dann rief er: "Expelliarmus!" Harry versuchte dem Fluch auszuweichen, doch er war zu langsam. Er wurde zurückgeschleudert und
sein Zauberstab flog aus seiner Hand und hoch in die Luft. "Ohne Zauberstab ...", fuhr Snape fort und zeigte auf den am Boden liegenden Jungen. Dünne, schlangenartige Fesseln schossen aus der Spitze
seines Stabs und wickelten sich um Harrys Arme und Beine, " ... gebunden ... und ganz allein mit mir", er verneigte sich in gespielter Höflichkeit, dann deutete er in Richtung der nahen
Bäume und lächelte boshaft " – und dem Dunklen Lord!"
Harrys Herz krampfte zusammen. Eine große, hagere, schwarz verhüllte Gestalt löste sich aus den Schatten des Waldes, rote Augen glühten in der Dunkelheit. Und durch das Gras glitt Nagini, die
riesige Schlange.
"Willkommen zu deiner Todesparty", rang die hohle, schrille Stimme Harry in den Ohren, "Harry Potter. Zeit die Prophezeiung zu erfüllen, meinst du nicht?" Er wandte sich zu Snape um, der
nicht weit von Harry im Gras kniete. "Gut gemacht, Severus, mein treuester Diener. Bring mir den Zauberstab des Jungen!"
Snape erhob sich und ging hinüber zu der Stelle, wo Harrys Zauberstab im Gras lag. Wenn Blicke töten könnten, wärst du jetzt Geschichte, Verräter, dachte Harry und starrte den Todesser
hasserfüllt an. Diese letzten paar Tage hatte er Snape vertraut, zum ersten Mal in sieben Jahren wirklich vertraut. Snape hatte ihm das Rezept für den Amortentia-Trank gegeben, hatte sie vor dem
Angriff gewarnt – noch dazu mit einem Einhorn-Patronus! Er hatte versprochen, Nagini zu töten. Aber da war sie, so lebendig wie eh und je. Und er, Harry, lag am Boden, ohne Zauberstab, wehrlos, in
Voldemorts Arme gelockt von eben diesem Zauberer: Snape, der seiner Mutter geschworen hatte, er würde Harry beschützen. Und jetzt würde er, dem verfluchten Verräter sei Dank, eines schrecklichen
Todes sterben ...
Aber musste Snape nicht auch dafür sterben, dass er den Unlösbaren Schwur brach? Du bist tot, Verräter, dachte Harry, und eine merkwürdige, boshafte Zufriedenheit erfüllte ihn bei dem
Gedanken. Gerade wollte er seinen Mund öffnen und die Worte seinem ehemaligen Lehrer, der gerade auf dem Weg zurück zu Voldemort an ihm vorüber ging, entgegenschleudern, als er ein leises Zischen
hörte.
"Halten Sie den Trank bereit, sobald ich Sie von den Fesseln befreit habe, Potter."
Nun vollends verwirrt tastete Harry nach der kleinen Erhebung in seiner Tasche. Die Phiole mit dem modifizierten Amortentia-Trank war noch immer da. Aber er war nicht aktiviert. Doch wie um alles
in der Welt sollte er den Zauberspruch ausführen? Was erwartete Snape von ihm? Es war unmöglich. Hier war niemand außer ihm, Voldemort und – Snape. Harrys Augen wurden groß. Was hatte Snape vor? Er
beabsichtigte doch nicht etwa –
Er starrte auf die schwarze Gestalt, die sich auf Voldemort zu bewegte und Harrys Zauberstab in seiner linken Hand hielt wie eine Trophäe. Wenige Meter entfernt von seinem Ziel kniete Snape erneut
nieder.
"Harry Potters Zauberstab, mein Lord", verkündete er, dann stand er geschmeidig auf. "Nun, ich denke nicht", fügte er wie beiläufig hinzu, und mit einem Schnippen seines Handgelenks warf er den
Zauberstab rückwärts, Harry entgegen. Zur gleichen Zeit richtete er seinen eigenen Stab auf den erhobenen Kopf der Schlange.
"Avada Kedavra", sagte er fast lässig, und Nagini fiel in einer gewaltigen Explosion grünen Lichts leblos zu Boden.
Sowohl Snape als auch Voldemort wurden durch die Gewalt des Fluchs zurück geworfen, kamen aber schnell wieder auf die Füße.
"Snape, du verdammter Idiot, was hast du getan?", brüllte Voldemort, sein Gesicht verzerrt in fassungslosem Zorn.
"Ich habe Euren letzten Horcrux getötet, mein Lord", sagte Snape gefährlich leise. "Ja, Euren aller letzten. Der Ring ist zerstört, Slytherins Medaillon und Hufflepuffs Pokal ebenso, nur um einige
zu erwähnen."
"Lügner! Du lügst! Meine Horcruxe sind sicher versteckt!", schrie Voldemort. Seine Stimme überschlug sich vor Erregung und – Unsicherheit?
"Ich selbst habe Euren Spiegel zerbrochen", fuhr Snape hochmütig fort. "Bella hatte sich so viel darauf eingebildet, dass Ihr sie damit betraut hattet, ihn aufzubewahren. Sie ließ kaum eine
Gelegenheit aus, damit zu protzen." Verächtlich verzog er seinen Mund. "Zur Zeit ist sie die stolze Besitzerin eines magischen Duplikats. Hat nicht einmal bemerkt, dass ich ihrem Versteck einen
Besuch abgestattet habe." Gekonnt machte Snape eine Pause, seine schwarzen Augen bohrten sich in die roten Voldemorts. "Und jetzt, mein Lord", er senkte seine Stimme zu einem gefährlichen Flüstern,
"seid Ihr genauso sterblich wie jeder von uns. Und ich werde Euch töten. Expelliarmus!"
Voldemorts Zauberstab flog hoch in die Luft. Der selbsternannte Dunkle Lord gab einen zischenden Laut von sich, wirbelte herum und verschwand. Im Bruchteil eines Augenblicks erschien er an der
Stelle, wo sein Zauberstab auf den Boden gefallen war. Snape stand ihm bereits gegenüber, seinen Zauberstab hoch erhoben. "Sectumsempra!"
Wieder wirbelte Voldemort herum und war verschwunden. "Du? Mich töten?", höhnte seine unmenschliche Stimme aus der Dunkelheit, und Snape drehte sich um. "Willst allen Ruhm für dich alleine, was?
Der Zauberer, der Dumbledore und den Dunklen Lord getötet hat? – Ich denke nicht. Crucio!"
Mit einem magisch schillernden Schild wehrte Snape den Fluch ab. Er traf einen der Bäume und sandt Funken von Licht in den Himmel. Im gleichen Moment schossen feurige Pfeile aus der Spitze von
Snapes Zauberstab auf Voldemort zu, doch der Dunkle Zauberer war schon Disappariert.
"Netter Versuch", kam die hohe Stimme von hinter einem Felsblock. "Ich wusste schon immer, dass du begabt bist, Snape. Zu dumm, dass du dein Talent gerade verschleuderst. AVADA KEDAVRA!"
Snape war bereits verschwunden, noch ehe der Strahl grünen Lichts Voldemorts Zauberstab verlassen hatte.
Harry starrte. Wie war es möglich, dass jemand so schnell reagieren konnte? Nicht einmal in seinen wildesten Träumen hätte er sich die Szene, die sich in rasender Geschwindigkeit vor ihm
abspielte, vorstellen können.
Für eine lange Zeit schienen die beiden kämpfenden Zauberer einander ebenbürtig. Strahlen von Licht schossen dicht wie Hagel aus ihren Zauberstäben, sie Apparierten und Disapparierten in Wirbeln
schwarzer Roben, aber nicht ein Wort wurde gesprochen. Sie duellierten in vollkommenem Schweigen. Wie zwei Dämonen der Hölle waren die beiden schwarzen Gestalten in einem tödlichen, und zugleich
seltsam faszinierenden Tanz gefangen. Und er, Harry, der ‚Auserwählte‘, konnte nichts tun als mit wild schlagendem Herzen im Gras zu liegen und zuzusehen.
Vom Fuße des Hügels drang leise der Lärm des Gefechts und das Schreien eines wütenden Hippogriffs an Harrys Ohr.
Harry hatte nicht die leiseste Ahnung, wie lang die beiden Zauberer schon duellierten, als er Voldemorts Stimme hörte.
"Du wirst langsamer, Snape. Hast wohl genug?"
"Träum schön", knurrte der andere Zauberer, aber Harry sah mit Bestürzung, dass Snape verletzt war. Blut rann sein Gesicht hinunter und ein Arm hing schlaff an seiner Seite herab. Trotzdem kämpfte
er weiter, geschmeidig wie ein Panther.
Der ferne Lärm vom Fuße des Hügels wurde lauter. Wenn Snape nur durchhielt, bis der Orden durch die Linien der Todesser brechen und sie erreichen konnte. Wenn er, Harry, nur nicht so dumm gewesen
wäre, Snape überhaupt zu folgen ...
Ein lauter Knall, und Snape wurde von seinen Füßen geblasen und gegen einen Baum geschleudert. Mit Entsetzen sah Harry, wie der Dunkle Zauberer im Fallen seinen Zauberstab verlore.
Voldemort grinste unheilverkündend.
"Serpensortiae!", rief er, und ein Knäul sich windender Schlangen schoss aus der Spitze seines Zauberstabs dem am Boden liegenden Mann entgegen. Snape hechtete nach seinem Zauberstab.
Doch bevor er ihn ergreifen konnte, hatten die Schlangen ihn umringt. Sie richteten sich bösartig zischend über ihm auf und senkten im Bruchteil einer Sekunde ihre todbringenden Zähne in seine
Haut.
Harry schloß die Augen. Dies war also das Ende. Sobald die Schlangen mit Snape fertig waren, war er dran. Diesmal gab es kein Entrinnen.
Ohne jede Hoffnung öffnete er erneut die Augen. Was er sah, ließ ihn vor Überraschung die Luft anhalten. Snape griff mit seiner unverletzten Hand nach seinem Zauberstab. Er war am Leben und
kämpfte noch immer!
"Viperae evanescae!", keuchte Snape, und die Schlangen verschwanden in einer Wolke von Rauch.
Bitte lass ihn OK sein, bitte lass ihn OK sein, dachte Harry wieder und wieder, aber mit wenig Zuversicht. Sein ehemaliger Professor war noch immer am Boden und rang mit schmerzverzerrtem
Gesicht keuchend nach Atem.
"Nun, Snape, wie haben dir meine Schlangen gefallen?", höhnte Voldemort selbstzufrieden. "Schön schmerzhaft, ihr zärtlicher Biss ... Aber mach dir keine Sorgen, das Gift wirkt nur langsam. Es wird
mich nicht des Vergnügens berauben, dich eigenhändig zu töten. Und dann", er schaute von Snape zu Harry hinüber und seine Augen blitzten in boshaftem Triumph, "ist Potter an der Reihe. Zwei Tode für
zwei fantastische neue Horcruxe!"
Doch noch gab Snape sich noch immer nicht geschlagen. Mühsam kämpfte er sich auf die Beine. "Ihr irrt Euch, mein Lord, Ihr seid es, der sterben wird", sagte er mit schwacher Stimme, aber statt
seinen Zauberstab auf Voldemort zu richten, zielte er auf Harry und murmelte einen Zauberspruch. Die Fesseln verschwanden. Schnell rollte Harry in Richtung seines Zauberstabe. Er musste ihn erreichen
bevor –
"AVADA KEDAVRA!"
Aus den Augenwinkeln konnte Harry wie in Zeitlupe den tödlichen Strahl grünen Lichts sehen, der auf seinen einstigen Professor zuschoss. Bewegungslos und aufrecht stand Snape da, eine schwarze
Shilouette vor dem fahlgrünen Nachthimmel, und wartete auf den tödlichen Schlag, als ob er ihn willkommen hieße ...
Plötzlich verstand Harry. Snape hatte alles minutiös geplant, hatte sie mit Absicht von den anderen getrennt, damit niemand sich einmischen und seine Pläne gefährden konnte, hatte Harry gefesselt,
um ihn davor zu bewahren, etwas Unüberlegtes und Dummes zu tun, und nun opferte er sich, damit Harry den Zaubertrank aktivieren konnte ...
"Nein!", schrie Harry und streckte seinen Arm aus, um seinen Zauberstab zu greifen. Im gleichen Moment brach vom Himmel ein schrilles Geschrei über sie hinein und etwas riesiges und wild mit den
Flügeln schlagendes kam auf Snape herabgestürzt: Seidenschnabel, der Hippogreif. In einem Wirbel von Federn und schwarzem Stoff fielen sie zu Boden, als das grüne Licht sein Ziel traf.
Weder Tier noch Zauberer bewegten sich.
Zu spät. Er war zu spät. Snape war tot. In einem Anflug brennenden Zorns wollte Harry sich auf Voldemort stürzen, ihn schlagen, treten, würgen, aber als er sich daran machte aufzustehen, fühlte er
etwas kleines, hartes gegen seinen Oberschenkel drücken. Der Amortentia-Trank. Nein, Snapes Opfer durfte nicht umsonst sein. Mit einer raschen Bewegung fischte er die Kristallphiole aus der Tasche,
schloss die Augen und konzentrierte sich. Er berührte das kleine Fläschchen mit dem Zauberstab und flüsterte den Zauberspruch: "Amoris Infinitas."
Der Trank begann zu glühen.
"Ah, Potter. Tut mir schrecklich leid, aber ich fürchte, ich habe nicht nur unseren lieben Severus getötet, sondern auch dein idiotisches Haustier", sagte Voldemort gedehnt, während er mit der
Spitze seines Stiefels den Haufen zu seinen Füßen inspizierte. "Zwei auf einen Streich! Wie dem auch sei, du wirst das Vieh ohnehin nicht mehr brauchen, da du ihm dorthin folgen wirst, wo auch immer
es jetzt ist –"
Er schwang seinen Zauberstab hoch über den Kopf.
"AVADA KEDAVRA!"
Im selben Augenblick, in dem Voldemort den tödlichen Fluch aussprach, hatte Harry hinter seinem Rücken die Phiole geöffnet. Ein Blitz gleißenden Lichts schoß aus der Öffnung und explodierte in
einem atemberaubend bunten Schauspiel von glitzerndem Feuerwerk. Millionen funkelnder Tropfen regneten vom beleuchteten Himmel herunter und durchtränketen die beiden Kontrahenten mit duftendem
Liebestrank. Das tödliche grüne Licht aus Voldemorts Zauberstab war verschwunden.
Voldemort stand wie angewurzelt. Welch teufliche Trick war dies? Hatte Potter ihn schon wieder hereingelegt? Das konnte nicht sein, das durfte nicht sein ... Er fühlte, wie der magische Regen
sanft auf ihn niederrieselte, auf seine Kaputze, seine Schultern, seine Arme und Hände, sein Gesicht. Auf seiner Haut verspürte er ein leichtes Kitzeln, ein Prickeln, das an Intensität zunahm. Panik
ergriff ihn. Mit einem Schwenken seines Zauberstabs versuchte er, den Regen verdampfen zu lassen, aber ohne Erfolg; die glitzernden Tropfen fielen nur noch dichter um ihn herum. Opale Dämpfe begannen
von seinem Umhang, seiner Haut aufzusteigen. Das Prickeln wurde ein brennender Schmerz, der in sein Fleisch fraß, in seine Knochen, in das tiefste Innere seiner verkrüppelten Seele.
Voldemort schrie auf vor Schmerz. Panisch vor Angst schlug er wie besessen nach dem Regen, wieder und wieder, in wilder, kreischender Raserei.
Es war schrecklich anzusehen. Harry stand im Regen und starrte gebannt auf den sich rasend schnell drehenden, schreienden Wirbel aus Dampf und wehendem, schwarzem Stoff. Nach einer Weile wurde der
Regen schwächer und das Schreien wurde zu einem leisen, heiseren Schluchzen. Dann war es still. Die letzten Spuren von Dampf verwehten in einer sanften Abendbrise.
Erst jetzt bemerkte Harry die Leute, die den Hügel hinauf rannten und seinen Namen riefen.
"Harry! Du bist am Leben!", rief Ginny atemlos und warf sich hemmungslos schluchzend in seine Arme.
Mehr Leute kamen – Remus Lupin, der seine hinkende Frau stützte, die Zwillinge, Mad-Eye Moody, Ron und Hermine, die jubelnd auf ihn zurannten und ihn und Ginny in ihrer stürmischen Freude beinahe
zu Fall brachten ... Sie alle sahen leicht lediert, angesengt und ausgelaugt vom Kampf aus, aber sie waren alle am Leben und nicht ernstlich verletzt.
"Wow, Harry, das war das verdammt brillianteste Feuerwerk –"
" – das wir in unserem Leben gesehen haben", gratulierten Fred und George unisono und klopften ihm unablässig auf die Schulter.
"Er ist wirkliech fort, Voldemort, niecht wahr?", fragte Fleur, deren silbrig-weißes Kleid zerrissen und blutbefleckt war. Nach der graziösen Art, wie sie sich bewegte, zu schließen, konnte es
jedoch nicht ihr eigenes sein, wenigstens nicht alles davon.
Harry nickte benommen. Es war tatsächlich wahr. Voldemort war verschwunden. Wirklich verschwunden. Ein für alle Mal. Er hatte es geschafft. Er hatte die Prophezeiung erfüllt ...
"Sieh mal an, wen wir hier haben", durchbrach eine triumphierende Stimme seine Gedanken. "Den Verräter. Gratuliere, Harry, zwei Bösewichte auf einen Streich." Alastor Moody hatte den toten
Hippogreif von der dunklen Gestalt, die reglos auf dem Boden lag, herunter schweben lassen. "Verdammt, Lupin", murmelte er dann zu dem Zauberer, der neben ihm stand, "ich glaube, es ist noch Leben in
dem elenden Bastard. Sollen wir ihm den Rest geben?" Mit seinem Zaubestab zielte auf den bewusstlosen Mann, sein magisches Auge rollte bedrohlich hin und her.
Lupin sah auf die ausgestreckte Gestalt seines ehemaligen Klassenkameraden, dessen Bruskorb sich fast unmerklich und in unregelmäßigen Abständen hob und senkte. Einst habe ich dir vertraut,
Snivellus, dachte Lupin voller Hass. Wie sehr er sich während der letzten Monate danach gesehnt hatte, Snape in die Hände zu bekommen und ihm den Hals umzudrehen. Und das Ministerium billigte
ausdrücklich die sofortige Exekution von Verrätern. Dennoch – "Nein, Alastor", sagte er grimmig, nachdem er einen Entschluss gefasst hatte. "Ich will ihn vor Gericht sehen. Und dann der Kuss der
Dementoren und auf nimmer Wiedersehen."
"Sicher?", fragte Moody, der leicht enttäuscht klang. "Dann sieh lieber zu, dass er nicht hier und jetzt den Löffel abgibt. Sieht nicht besonders gut aus, wenn du mich fragst." Wie um seine Worte
zu bestätigen, trat Moody Snape in die Rippen. Keine Reaktion. Er holte mit dem Fuß aus, um es noch einmal zu versuchen, als er plötzlich umgestoßen und von unsichtbaren Händen zu Boden gedrückt
wurde.
"Lass ihn in Ruhe", presste Harry zwischen den Zähnen hervor, während er seinen Zauberstab wutschnaubend auf den alten Auror richtete. "Rühr ihn noch einmal an, und du bist tot."
"Harry, beruhige dich. Der Kampf ist vorbei," sagte Lupin und ging mit beruhigend erhobenen Hände auf Harry zu. Aber Harry ignorierte ihn. Er schob seinen ehemaligen Professor aus dem Weg, ging zu
der Stelle, an der Snape lag und kniete sich neben ihm nieder, ohne auf Moodys Gegrummel und die besorgten Blicke der anderen zu achten. Snape atmete noch, das war alles, was im Moment zählte.
"Wir müssen ihn nach St. Mungos bringen." Harry schaute Lupin flehendlich an. "Die Schlangen – die Schlangen haben ihn gebissen, und er hat bestimmt noch andere Verletzungen. Bitte, Remus. Er darf
nicht sterben!"
Verwirrt starrte Lupin Harry an, der leise zu schluchzen anfing, während er fast zärtlich eine Strähne blutverklebten, fettigen Haares aus Snapes totenbleicher Stirn strich. "Remus, bitte ..."
Lupin nickte. "OK, Harry. Ruh du dich erst mal aus, du stehst sicher noch unter Schock", sagte er halb an Molly Weasley gewandt, die zu ihnen gestoßen war, "und ich kümmere mich um Severus."
Zögerlich erhob sich Harry und machte Platz für Remus, der nun neben Snape nieder kniete. Vorsichtig zog Lupin den sterbenden Mann in seine Arme und Disapparierte mit einem leisen ‚Pop‘.
Snape nickte in Richtung des Stuhls, der nicht weit vom Bett stand. Zahlreiche Kissen im Rücken stützten den kranken Zauberer. Er sah noch immer schrecklich blass und elend aus, aber die Heiler
hatten Harry versichert, dass es nur eine Frage von ein paar Wochen, strikter Bettruhe und gesunder Ernährung und anschließend einem netten Urlaub an der Küste sein würde, bis sein ehemaliger
Professor wieder bei bester Gesundheit wäre. Obwohl Harry sich Snape schwerlich beim Sonnenbad und mit einem kühlen Drink in der Hand in einem der üblichen Ferienorte vorstellen konnte, stimmte er
der Sache mit der Bettruhe und dem Essen aus vollstem Herzen zu.
Nachdem Remus Lupin Snape nach St. Mungos gebracht hatte, war es ein schweres Stück Arbeit für die Heiler gewesen, den Mann am Leben zu erhalten. Einige hatten es entgegegen ihres Heilereids
rundheraus abgelehnt, es überhaupt zu versuchen, als sie erkannten, wer ihr Patient war. Dies änderte sich rasch, nachdem Dumbledores Testament gefunden wurde. Es war in einer geheimen Schublade in
seinem Schreibtisch in Hogwarts versteckt gewesen. Natürlich war der Schreibtisch nach des Schulleiters Tod gründlich untersucht worden; die Schublade war einfach nie zuvor da gewesen, doch plötzich
war sie es. Offensichtlich sollte sie erst nach dem Tod Voldemorts erscheinen. Das Testament belegte eindeutig und ohne jeden Zweifel, dass Snape strikt auf Dumbledores Befehle hin gehandelt hatte.
In einer außerordentlichen Sitzung erklärte das Wizengamot seine Tat zu einer ‚kriegsbedingten Notwendigkeit im Dienste des Lichts‘ und sprachen ihn von allen Anklagen frei. Die Auroren, die am
Eingang zu Snapes Krankenzimmer postiert waren, erhielten neue Anweisungen: statt den Mann am Ausbrechen zu hindern (etwas, das der schwer kranke Zauberer ohnehin nicht hätte bewerkstelligen können),
sollten sie ihn nun vor Einbrechern schützen, denn einige wenige Todesser, Peter Pettigrew unter ihnen, waren noch immer auf der Flucht und brannten auf Rache. Endlich, nach fast zweiwöchiger Suche,
hatten die Heiler ein effektives Gegenmittel für das Schlangengift gefunden. Jedoch war Snape von den durch das Gift verursachten heftigen Krämpfen und dem hohen Fieber so geschwächt, dass sie
fürchteten, sie würden ihn dennoch verlieren. Glücklicherweise irrten sie sich und ihr Patient begann sich langsam zu erholen. Die schwarze Brandwunde, die den Heilern so viel Kopfzerbrechen bereitet
hatte, fing von alleine an zu heilen und das Dunkle Mal, das in den linken Unterarm des Zauberers gebrannt war, verblasste mehr und mehr ...
"Sir, ich bin gekommen, um Ihnen etwas zu bringen – vom Zaubereiministerium", sagte Harry und griff in seine Tasche. Er legte ein längliches Päckchen mit dem Siegel des Zaubereiministers auf den
Nachttisch. "Mr. Ollivander sagte, er sollte genauso gut funktionieren wie Ihr Alter, denn er ist aus denselben Materialien gefertigt. Und falls nicht, sollen Sie einfach in seinem Laden vorbei
schauen und einen Neuen aussuchen, meinte er." Harry lächelte verschwörerisch. "Das Ministerium zahlt."
"Dann haben sie also meinen Zauberstab zerbrochen?", fragte Snape ausdruckslos.
"Sie haben mir nicht geglaubt, als ich ihnen erzählte, dass Sie mir geholfen haben Voldemort zu vernichten", erklärte Harry. "Dachten, ein Verwirr-Fluch hätte mich getroffen. Und Professor
McGonagall war noch immer bewusstlos."
Snape nickte gedankenverloren. "Sie haben die Gefangenen gefunden?", fragte er schließlich.
"Ja, Sir, Ollivander, Fortescue und all die anderen wurden gleich in der Nacht nach der letzten Schlacht befreit, nicht gerade in bestem Zustand, aber am Leben." Für einen kurzen Augenblick glitt
so etwas wie Erleichterung über Snapes blasses Gesicht. Es hatte ihn immer besonders gewurmt, dass er dem Orden nie hatte verraten können, wo sich Voldemorts Kerker befanden, da sie durch einen
Fidelius-Zauber versteckt waren. "McNair brannte fast darauf den Auroren zu verraten, wo sie die Gefangenen finden konnten", fuhr Harry fort. "So hat er nur zehn Jahre Azkaban aufgebrummt bekommen
statt Lebenslang, und ohne Dementoren ..."
Snape nickte wieder, dann runzelte er die Stirn. "Was ich noch immer nicht verstehe, Potter, ist, warum der Amoris Infinitas-Zauber gewirkt hat, obwohl es kein Opfer gab. Würden Sie mich
aufklären?"
"Es gab ein Opfer, Sir. Sie werden sich nicht daran erinnern, da Sie bei dem Zusammenstoß eine Gehirnerschütterung erlitten", sagte Harry und, ohne etwas dagegen tun zu können, begann er
zu grinsen.
Snape hob eine Augenbraue. "Ja, Potter? Würden Sie mir freundlicherweise mitteilen, was offensichtlich so amüsant ist?"
"Tut mir leid, Sir, es ist nicht wirklich lustig, nur – Sie erinnern sich an den Hippogreif, den Hagrid hielt, derselbe, der Sie angegriff, als Malfoy und Sie aus Hogwarts flohen?"
Snape nickte düster.
"Er muss gesehen haben, wie Sie Ihren Zauberstab auf mich richteten", fuhr Harry fort. "Vielleicht hat er Sie sogar erkannt. Er versuchte mich zu retten und stürzte sich just in dem Moment, in dem
Voldemort den Todesfluch aussprach, auf Sie."
"Der Hippogreif ist gestorben?", fragte Snape ungläubig.
"Der Fluch muss ihn getroffen haben statt Sie."
"Wie überaus enttäuschend", spöttelte Snape.
"Hagrid war verzweifelt ...", sagte Harry und grinste wieder. Irgendwie fühlte er sich trotz des traurigen Themas und der Anwesenheit des düsteren Tränkemeisters seltsam vergnügt. Einer von Lunas
Hirnerweichern musste ihn getroffen haben, es gab keine andere Erklärung. "Aber Seidenschnabel hat ein schönes Begräbnis bekommen – und einen Orden des Merlin Erster Klasse!"
"Sie machen Witze, Potter!"
"Nein, Sir", sagte Harry. "Oh, da hätte ich fast was vergessen", fügte er hinzu und unterdrückte mühsam ein übermütiges Grinsen, "hier ist Ihrer, Sir." Harry legte ein kleines Paket mit roter
Schleife auf den Tisch. "Sie haben allerdings die Zeremonie verpasst, fürchte ich. Und –", wieder kramte er in seinen Taschen. Schließlich zog er eine versiegelte Rolle Pergaments hervor. "Das ist
auch für Sie. Eine Kopie von Professor Dumbledores Testament. Sieht so aus, als hätter er all seine irdischen Besitztümer Ihnen hinterlassen, inklusive eines Safes voller Zitronendrops."
Die Tür öffnete sich. Eine Krankenschwester steckte ihren Kopf durch den Spalt und rettete damit höchst wahrscheinlich Harry vor einer beißenden Erwiderung. "Es tut mir leid Sie stören zu müssen,
aber die Besuchszeit ist vorüber, fürchte ich. Mr. Snape braucht Ruhe."
"Bin sofort weg", sagte Harry, ließ die Pergamentrolle in Reichweite des kranken Zauberers auf das Bett fallen und erhob sich von seinem Stuhl. "Ich gehe dann besser, Sir", sagte er zu Snape und
wandte sich der Tür zu, hielt aber noch einmal inne und fischte ein weiteres Päckchen aus seiner unergründlichen Tasche. "Professor McGonagall hat mich gebeten, Ihnen einige Grußkarten vom Orden zu
bringen, falls es Ihnen besser geht, und von –"
"Mr. Potter, bitte." Die Krankenschwester war noch einmal erschienen und hielt nun die Tür weit für Harry auf, damit er ihr folgen konnte.
Harry ließ den Stapel Karten auf den Nachttisch fallen und ging zur Tür. "Wir sehen uns, Professor", sagte er, schlüpfte durch die Tür, bevor Snape eine Bemerkung machen konnte, und schloss sie
leise hinter sich.
Snape machte ein finsteres Gesicht. Lästiges Balg, er war nicht mehr sein Professor. Oder etwa doch? Immerhin hatte Harry wegen des Krieges nie seinen Schulabschluss gemacht. Er hatte doch nicht
etwa vor, wieder nach Hogwarts zu kommen? Merlin bewahre! Snape seufzte schwer und schloss die Augen. Ein weiteres Jahr, das er damit verbringen musste, den Tunichtgut zu unterrichten. Er merkte, wie
sich hinter seinen Schläfen stechende Kopfschmerzen zusammenbrauten. Obwohl, er musste zugeben, dass der Junge heute nicht ein einziges ‚Sir‘ ausgelassen hatte, vielleicht gab es doch noch Hoffnung
für ihn ...
Er seufzte noch einmal. Dies war gewiss ein sehr erhellender Besuch gewesen. Offensichtlich war er nicht nur entgegen jeder Wahrscheinlichkeit am Leben, von allen Anschuldigungen freigesprochen
und in der Gunst des Jungen-der-lebte-um-Voldemort-zu-töten, sondern er war der stolze Besitzer eines Merlinordens Erster Klasse und der Alleinerbe Albus Dumbledores. Wer hätte das gedacht? Er
jedenfalls nicht. Und jetzt füllte sich sein Nachttisch mit Grußkarten – bald würden es wohl Schokoladenfrösche oder Bertie Botts Bohnen jeglicher Geschmacksrichtung sein ... Er schüttelte sich bei
dem Gedanken. Sein Blick schweifte über den Nachttisch, und sein Gesichtsausdruck wurde weicher, als er auf eine Karte fiel, die dort schon seit mehreren Tagen lag. Es war eine Muggel-Ansichtskarte
aus Neuseeland mit einem Bergpapagei darauf – von Draco und Narcissa. Mit seiner Hilfe hatten die beiden kurz nach Dumbledores Tod das Land verlassen und gaben sich nun auf der anderen Seite der Welt
als Muggel aus, in Sicherheit vor Auroren und Todessern. Vielleicht konnten sie in wenigen Jahren zurückkehren ...
Erschöpft griff Snape nach den Karten der Mitglieder des Ordens. Nicht dass er an ihrem hirnlosen Geschreibsel interessiert war, aber es könnten wichtige Informationen darin enthalten sein, die
Potter bequemerweise vergessen hatte ihm mitzuteilen ...
Der oberste Umschlag war an ‚Den mutigsten Zauberer aller Zeiten‘ adressiert. Er verzog spöttisch den Mund. Sie machten sich doch nicht über ihn lustig? Im Inneren des Umschlags war eine Karte mit
einem blubbernden Kessel, auf dessen schimmernder Oberfläche sich unablässig die Worte ‚Gute Besserung‘ formten. Glücklicherweise war es keine singende Karte ... Er drehte die Karte um. Nur ein
kurzer Satz und eine Unterschrift waren darauf zu sehen. Das spöttische Grinsen verschwand von seinem ausgezehrten Gesicht und ein wirkliches Lächeln begann Snapes Lippen zu umspielen, während er
folgende Worte las:
Hiermit erkläre ich feierlich, dass James Potter ein aufgeblasener, arroganter Idiot war,